Reportage aus: Würzburger katholisches Sonntagsblatt Nr. 11 vom 17.März 2002
Dome aus Dosen
Freiburger Künstler gestaltet Kirchen aus Blechbüchsen
 
Was andere auf den Müll werfen, ist für Heim Soucek - hier in seinem Atelier - ein kostbarer Rohstoff.

Was andere auf den Müll werfen, ist für Heinz Soucek ein kostbarer Rohstoff. Der Aktionskünstler gestaltet Skulpturen und  Bilder aus Blechbüchsen. Zu seinen liebsten Motiven gehören Kathedralen. Die Original-Vorbilder in Freiburg, Straßburg, Speyer und Köln hat er inzwischen schon zu Dosen-Domen verarbeitet.
Wer Soucek in seiner Werkstatt besucht, wird von Glanz und Glitzer geblendet. Die Räume sind überladen von den Arbeiten der vergangenen Jahre, und er ist stolz auf jedes seiner Bilder. Alle haben ihre eigene Geschichte. Das fängt schon bei der Materialbeschaffung an. So stammen 80 Prozent der Dosen aus dem Freiburger Colombipark, ein Anziehungspunkt nicht nur für Touristen, sondern vor allem für junge Drogenabhängige. Viele Betroffene kennt Soucek inzwischen mit Namen und die, die ihn kennen, helfen ihm eifrig beim Dosen sammeln.
Die Idee für die „neue Kunst" kam dem 60-jährigen Künstler, als die Tour de France durch Freiburg rollte und Unmengen von Getränkedosen weggeworfen wurden. „Überall sah ich sie liegen, in Hecken, auf Wegen, in den Mülleimern; bunte Dosen - bunt wie das Leben." Beim ersten Versuch fertigte Soucek aus den zerquetschten Dosen ein Bild. „Es war nett und farbig, aber eigentlich wollte ich etwas anderes." Soucek fing an, die leeren Behälter zu zerschneiden, sortierte sie nach Farben, Symbolen und Metaphern und fügte sie zu einem neuen Kunstwerk zusammen. Diese Technik - eine Urform der klassischen Moderne - wurde von Pablo Picasso Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden. Von Soucek umgesetzt mit vielen tausend „Dosenschnipseln" entstehen durch diese Technik wahre Meisterwerke der Collage. Hunderte von Dosen und Tausende von Nägeln oder Klebstoff benötigt der Künstler für ein Bild. Jedes Bild erfordert zwischen 80 und 150 Stunden Arbeit, um die Teile zusammenzusetzen, zu kleben, zu schichten oder zu tackern.

Die Motive sind mannigfaltig und völlig neu in ihrer Art. Verschmolzen zu einem Gesamteffekt zeigen die fertigen Skulpturen etwa die Sky-Line von Sydney oder New-York. Selbst den Petersdom gibt es bereits als „Dosenwerk". Die ungewöhnliche, aber dennoch harmonische Farbzusammensetzung verleiht den großformatigen Bildern eine besondere, ganz eigene Ausstrahlung - beispielsweise ein Werk, das einen Ausschnitt des berühmten Isenheimer Altars von Matthias Grünewald in Colmar zeigt. Ganz wie bei den Bildern von Claude Monet, die aus der Nähe betrachtet grobe Pinselstriche zeigen, verschwimmen die „Dosenstreifen" der Soucek-Bilder ineinander, wenn man sie aus der Entfernung betrachtet. Wie bei Monet wirkt das Meer lebendig in seiner Weite und Tiefe. Den Augen des Betrachters wird keine Ruhe gegönnt. Auf jedem Quadratzentimeter gibt es etwas zu entdecken: Aufschriften etwa über das Reinheitsgebot des Bieres, die in ihrem neuen Kontext kurios wirken.
Höhepunkt seiner Kunst dürfte die im Sommer fertig gestellte, 150 Zentimeter hohe, dreidimensionale Nachbildung des Freiburger Münsters sein. Anders als bei seinen Bildern verwendete er für die Skulptur nicht nur die Dosenschnipsel, sondern vor allem die Laschen, mit denen die Büchsen geöffnet werden. Vier Wochen lang arbeitete Soucek bei einer Recyclingfirma, um die vielen kleinen silbernen Metallteile zu sammeln. Über 20000 Laschen, 300 Dosen und farbige Glasscherben stecken in dem Kunstwerk. Obendrein bringt das eingearbeitete Phosphor das Gebäude im Dunkeln zum Leuchten. Allein für dieses Arbeit verbrauchte der Künstler 60 Tuben Klebstoff. Verständlich deshalb auch, dass die Klebstoff-Firma ihn und seine Werke für eine Internet-Galerie anwerben möchte. Auch das „Mini-Münster" wurde schon für ähnliche Zwecke eingesetzt und soll laut Soucek in diesem Jahr wegen seiner Einzigartigkeit ins Guinnessbuch der Rekorde aufgenommen werden. Zudem hatte der Künstler im Sommer die Aktion „Kleines Münster für das große Münster" gestartet. Die dabei gesammelten Spenden gingen an den Freiburger Münsterbauverein zur Unterstützung des Kirchenhauses. Soucek will vor allem mit dem Abbild des Freiburger Wahrzeichens das Bewusstsein für die Umwelt wachrütteln. „Das Kunstwerk ist einzigartig, und es soll ein Zeichen setzen gegen die Verschmutzung der Umwelt. „ Dafür ließ er seine Dosenskulptur und das Freiburger Münster mit dem Aufdruck„5 vor -12" auf Postkarten drucken. Weitere Aktionen sind in Planung, bei denen er für soziale Zwecke Spenden sammeln will. Rund 30 000 Dosen hat Soucek inzwischen in Kunst verwandelt; Tausende hat er auf Vorrat gesammelt. Denn wenn demnächst das umstrittene Pflichtpfand-Gesetz für Getränkedosen in Kraft treten sollte, könnte Schluss sein mit den weggeworfenen Büchsen."Und dann werden meine Dosen historisch sein", freut sich Soucek, der selbst zu den Befürwortern des Dosenpfandes zählt
 
Eine Nachbildung des berühmten Isenheimer Altars von Matthias Grünewald in Colmar.
Zu Souceks liebsten Motiven gehören Kathedralen - hier der Dom von Speyer

Andrea Steinhart